Mir brennt ein Thema auf der Seele. Ich beobachte dieses Phänomen schon länger, und obwohl es mir ständig und überall begegnet und ich jedes Mal den Kopf schütteln muss, wollte ich mir meine Meinung dazu eigentlich verkneifen. Heute aber brodelt es so arg in mir, dass ich meine Gedanken schlichtweg mit euch teilen muss. Es geht um die fehlende Geduld in der Buchwelt – und die damit einhergehende Erwartungshaltung.
Jeder von uns kennt es …
Wir lesen den Auftakt einer neuen Trilogie, den neuesten Band einer geliebten Reihe oder entdecken einen für sich stehenden Debütroman, der uns völlig aus den Socken haut. Wir verlieren uns in den Worten, verlieben uns in die Charaktere, das Setting, den Erzählstil – und ob wir es wollen oder nicht: Die letzte Seite naht. Und plötzlich stehen wir da. Das Buch ist ausgelesen, und eine schnelle Recherche im Netz verkündet uns die furchtbare Botschaft: Wir werden auf den Lesenachschub warten müssen. Nicht 24 Stunden, bis die Buchhandlung des Vertrauens das Buch vorrätig hat. Sondern Wochen, Monate, vielleicht auch ein ganzes Jahr, denn das Buch muss erst geschrieben und anschließend veröffentlicht werden.
Schockstarre. Beinahe tritt uns der Kaltschweiß auf die Stirn. Wenn das Buch mit einem fiesen Cliffhanger endete, ist die Lage natürlich besonders prekär. Um Himmels Willen, wie soll man das nur aushalten? So ganz ohne Zeitmaschine? Die Nerven liegen blank, der Ärger ist groß und die Ungeduld nagt unermüdlich am eigenen Gemüt. Glaubt mir: Ich verstehe das. So. Gut. Ich bin zu einer Zeit aufgewachsen, in der J. K. Rowling noch an der „Harry Potter“-Reihe geschrieben hat. Das Warten hat mich fast wahnsinnig gemacht, weil ich so dringend wissen wollte, wie es mit Harry, Ron und Hermine (und Luna, die mir immer am liebsten war!) weitergeht.
Der nächste Band ist noch nicht da. Und jetzt?
Ungeduldig waren wir Buchjunkies schon immer, was unseren neuen Lesestoff angeht. Und das ist auch völlig in Ordnung und natürlich. Doch in der letzten Zeit fällt mir immer häufiger auf, dass Leser*innen eine gewisse Erwartungshaltung an den Tag legen, die mir arg aufstößt. Von unverschämten Veröffentlichungsrhythmen ist da die Rede, von „Frechheiten“, „Zumutungen“ und „Dreistigkeiten“. Autor*innen und Verlage haben gefälligst zu liefern, und zwar lieber gestern als heute.
Ich verstehe natürlich, woher das kommt. Wir sind mittlerweile ans „Bingen“, also ans Durchsuchten, gewöhnt. Netflix & Co. bieten uns genau das. Wir bekommen ganze Staffeln am Stück geliefert oder dürfen uns auf eine neue Folge pro Woche freuen. Das sind so kurze Zeitfenster, dass man gar wieder ein wenig dieses Kribbeln in sich spüren kann, das man auch als Vorfreude bezeichnet.
Bücher sind keine Fließbandarbeit
In der Verlagsbranche läuft das allerdings ein wenig anders. Ich erlaube mir, das so zu sagen, weil ich seit mittlerweile vier Jahren ein Teil von ihr bin. Ich habe einen Einblick in die Strukturen und Prozesse, die mit der Veröffentlichung eines Buches zusammenhängen: Vom Einkauf eines Projekts über die Arbeit am Manuskript, die Konzeptionierung, Planung und Umsetzung der Vermarktungsmaßnahmen, den Verkauf des Buches an die Buchhändler*innen bis hin zum Druck. Es ist ein langer, oft sehr steiniger Weg von der ersten Idee bis zum fertigen Buch.
Was diesen langen Weg aber ebenso auszeichnet, ist die Kreativität, die in jedem einzelnen Schritt liegt. Autor*innen stecken all ihr Herz in ihren Text und arbeiten über Monate an einem einzelnen Projekt. Verlagsmitarbeiter lassen sich jede Menge einfallen, um ein Buch mit einem bestmöglichen Start zu unterstützen. Gemeinsam arbeiten Autor*innen und Verlage hart daran, dass ihr am Ende genau das Buch in euer Regal stellen könnt, das euch zum Weinen, Lachen und/oder Dahinschmelzen gebracht hat. Das Ding ist bloß, dass Kreativität nicht auf Knopfdruck abrufbar ist. Weder Autor*innen, Verlagsmitarbeiter*innen, Übersetzer*innen oder Illustrator*innen sind Maschinen. Und um ein gutes Ergebnis abliefern zu können, das euch abschalten und entspannen lässt, brauchen sie alle ihre Zeit – und eure Geduld.
Bleibt fair.
Ich weiß nicht genau, wieso der heutige Tropfen das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Aber vielleicht denkt ihr an ein paar meiner Worte, falls ihr zur Buchmesse fahrt. In jedem Buch, das dort steht, steckt etwas von den Menschen, die daran gearbeitet haben. Wisst das zu schätzen. Macht Autor*innen bitte keinen Druck, nur weil sie nicht innerhalb eines Monats ein neues Buch fertig geschrieben haben. Bitte nehmt etwas Rücksicht auf Veröffentlichungsrhythmen, die Lektoren, Übersetzern, Herstellern, Pressereferenten, Marketing- und Vertriebsmitarbeitern und allen anderen Beteiligten die Zeit geben, die sie brauchen, um Bücher gut auf dem völlig überfüllten Markt zu positionieren.
Seid leidenschaftlich, ärgert euch über Wartezeiten, sehnt euch nach Fortsetzungen – aber bleibt bitte fair dabei. Das ist alles, worüber ich euch bitte nachzudenken.
13 Kommentare
Das ist die Schuld der Leute, die den Bachelor eingeführt haben. Ich schwöre. Und seit G8. Alles muss schneller sein, weil die Leute Angst haben, dass sie sterben, bevor sie leben.
Was hat es uns gebracht? Die neumodische Erkrankung “Schnelllebigkeit”. Klar, ich bin auch traurig, weil der nächste Band von Renegades auf Englisch zwar erschienen ist, aber natürlich auf Deutsch später kommt. Das ist aber auch okay für mich.
Manchmal sammel ich auch erst alle Bände einer Reihe, um sie dann in einem Rutsch zu lesen. Und manchmal, tja, da re-reade ich Bücher sogar. Jaja, ich höre das Raunen. Ich habe tatsächlich Zeit, Bücher mehr als einmal zu lesen. Ja, gar drei- oder viermal. Habe gehört, dass einige das gar nicht mehr kennen.
Ich kann deinen Unmut verstehen und appelliere auch zu mehr Geduld. Mehr Geduld mit den Büchern, Autoren*innen, Verlagen, vielleicht sogar mit dem Leben an sich.
Viele Grüße
Heffa
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, in der man Jahre auf den nächsten Harry Potter warten musste. Aber genau das hat dieses Universum auch zu etwas so Besonderem gemacht.
Ich mag es auf tolle Geschichten hinzufiebern und in der Zwischenzeit mit anderen Liebhabern über die vorangegangenen Bücher zu plaudern.
Die Schnelllebigkeit macht so viel kaputt,vor allem aber Höflichkeit und gute Umgangsformen.
Ich stimme Heffa da zu. In unserer Zeit, wo man mit einem Klick alle Infos heranzaubert, immer und überall zu jeder Zeit “online” ist und das “Warten” völlig verlernt hat, ist es natürlich auch kein Wunder, dass viele einfach mit ihrer Geduld direkt noch ihre Höflichkeit aus dem Fenster geworfen haben. Wozu auch, wenn man sich ganz sicher anonym bzw. geschützt hinterm Bildschirm von seinem dunklen Kämmerchen aus beschweren kann? Dass viele Leser nicht informiert sind, wie das in der Buchbranche abläuft, wundert mich ja fast gar nicht (für Nachhaltigkeit & Co. interessiert sich ja auch nicht gerade die breite Masse). Trotzdem macht es mich jedes Mal ein ärgerlich, wenn ich sehe, wie blindlings mit Wut und Argwohn um sich geschmissen wird, wenn ein einfaches “Wieso ist das denn so?” vielleicht Wunder wirken könnte. Einfach mal ein Beispiel an Kindern nehmen. Manchmal ist ständiges “Warum?”-fragen gar nicht so dumm.
Das ist wirklich ein wundervoller Beitrag, liebe Simone! Ich habe viel von meinen eigenen Gedanken darin wiedergefunden und die ganze Zeit genickt, weil du sehr viel Wahres schreibst. Ich selbst verspüre auch oftmals den Druck “schnell” etwas abzuliefern, um mithalten zu können bzw. nicht mehr so enorm, wie er mal war. Irgendwie ist durch Social Media und die Nähe zu Autoren und Verlagen diese Schnellebigkeit ja sowieso noch mal ein Stück vorangeschritten … ich stimme dir auf jedem Fall zu! Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, diese Gedanken zu formulieren. Sie sprechen sicher vielen von uns aus der Seele 🙂
Hallo liebe Simone,
toller Beitrag. Ob ich auch so eine fordernde Leserin bin, kann ich gar nicht mal sagen. Nach dem ich Iron Flowers Die Rebellinnen beendet hatte, habe ich geschaut, ob im Mutterland bereits der zweite Teil erschienen ist, ebenso bei den Büchern von Robins Stevens. Allerdings, so erkläre ich es mir, möchte ich dadurch nur sicher sein, dass es weiter geht. Ist das schon eine Form von „Druck“? Wie gesagt, konkret habe ich nie darüber nachgedacht.
Durch meine Manga Leidenschaft bin ich an Warten gewöhnt, klar ein ganz anderer Rhythmus als bei den Büchern, hier wartet man nur 1 bis 2 Monate auf Fortsetzung, sofern im Mutterland bereits einige Bände erschienen sind.
Kann es möglich sein, dass die „Mach-Schnell-Mentalität“, einen Autoren so weit unter Druck setzen kann, dass es sich in der Qualität widerspiegelt? Schließlich sind Meinungen, in denen die Leser eine schwache Entwicklung feststellen, nicht selten. Interessant wäre, ob hier ein Zusammenhang bestehen kann.
Liebe Grüße Cindy
Ich habe das Thema neulich auch erst in einer Gruppe gesehen und habe auch nur noch den Kopf geschüttelt. Da fielen Sätze wie “unverschämt, dass der Release erst in einem Jahr ist” und ähnliches. Für mich ist es irgendwie noch selbstverständlich, dass man auf Bücher warten muss. Wenn ich eine Reihe entdecke bei der schon alle Teile erschienen sind, freue ich mich umso mehr. Mir ist es bei längeren Wartezeiten tatsächlich früher schon passiert, dass ich sogar den Release von der heiß ersehnten Fortsetzung vergessen habe.
Liebe Grüße,
Shani
[…] von Leselurch […]
Ein wirklich toller Blog Artikel, der hoffentlich viele Leser in der Buchblogger Szene erreichen wird. Auch ich bin da ganz bei dir: Das Hibbeln, das Warten und auch das langsam schon genervte Sehnen nach einem neuen Band sind die bittersüße Kehrseite unsere Lese-Hobbies. Auch ich kenne den süßen Schmerz und Gedanken, die einem “mach mal hinne jetzt” nahekommen, habe ich auch schon gehabt. ABER: Ich würde diese niemals an den Autor kommunizieren. Wenn ich einen tollen Menschen date und dieser mir nicht direkt zurückschreibt, denke ich mir das selbe und würde es auch nicht an ihn oder sie herantragen. So einfach ist das. Man kann auch lernen, ein gewisses Maß an Sehnsucht zu genießen und sie als Katalysator für die Wertschätzung der Geschichte gegenüber nutzen. In diesem Sinne – aus Autorensicht gesprochen – plädiere auch ich für mehr Anstand, eine höhe Frustrationstoleranz und im letzten Ende auch mehr Empathie den Autor’innen gegenüber.
Liebe Grüße aus dem Wald,
Fuxich
Hallo, bin gerade zufällig über diesen Beitrag gestoßen und muss unbedingt einen Kommentar hier lassen, denn der Beitrag spricht mir aus dem Herzen. Ich habe auch sehnsuchtsvoll auf die Harry Potter Bände gewartet und sie dann aus lauter Verzweiflung auf Englisch gelesen (ging erstaunlich gut;)) , musste aber mach Band drei natürlich trotzdem Jahre warten, bis die Sammlung komplett im Regal stand und gelesen war, hach das war wundervoll als der letzte Band hier einzog und zum ersten Mal aufgeschlagen wurde
Wir haben uns so viel nehmen lassen, durch ständige Erreichbarkeit und unbegrenzte Verfübarkeit von allem und jedem. Daher kann ich mich diesem Appell zu Geduld und Ruhe nur anschließen!!! Liebe Grüße
Das kenne ich und bin ganz bei dir – natürlich ist es schade, wenn frau auf geliebte Charaktere ein Jahr oder länger warten muss, aber es ist eben so!
Mein vollster Respekt geht an alle Autoren, denn ich finde es einfach bewunderswert, wie sie in oft kürzester Zeit eine ganz neue Welt erschaffen in die ich jeden Abend hinein schlüpfen kann. Sie bieten mir eine Auszeit aus dem Altag an. Oftmals denke ich nur “wie kommt man auf diese Ideen?”. Ihre Kreativität finde ich lobenswert.
Deshalb verstehe ich nicht, weil leute so ungeduldig (im negativen Sinne) sein können und nicht einmal nachdenken bevor sie sich beschweren.
Ich gebe dir absolut recht und finde deinen Beitrag absolut berechtigt, wichtig und informativ. Das Wort “Bingen” habe ich bis eben gerade noch nie zuvor gehört, wenn ich ehrlich bin. Allerdings gehöre ich auch noch zu dem Typ Zuschauerin, die sich gerne auf nur eine Sache konzentriert. Keine Serien nebenbei, keine Mehrfachbeschallung. Ausnahmen gibt es schon, jedoch eher selten. Ich freue mich gerne auf Dinge, warte lieber, als sie klammheimlich halb legal im Internet anzuschauen und versuche immer, möglichst geduldig zu bleiben.
Die Spannung um HP kenne ich auch noch zu gut – kann mich noch an die unfassbare Freude über jedes neu erschienene Buch erinnern, jedoch kaum an die Wartezeit. Ich weiß nur, wie großartig es eben war, nach langer Zeit des stummen Wartens und Sehnens, dann endlich Post zu erhalten. Nur jemanden zum schnelleren Schreiben zu drängen, darauf wäre ich nie gekommen. Wenn ich ganz gespannt oder verliebt in etwas bin, dann habe ich schon mal nachgefragt, wann es denn weitergehen soll. Höflich, nicht fordernd, aber um anzumerken, wie toll ich das Werk finde. Genau diesen respektvollen Rahmen sollte auch jeder an den Tag legen. Ist ja nichts dabei, einmal freundlich zu fragen, ob und wann eine Fortsetzung kommt. Solange das eben – wie du sagst – fair und nicht drängelnd bleibt.
– Chrissy (goldeneworte)
So true. Ich mochte deinen Beitrag wirklich sehr. So viele ehrliche Worte. Mir ist diese Ungeduld mancher Leser auch schon aufgefallen. Tatsächlich kann ich mich auch noch an eine Zeit erinnern in der ich auf den nächsten Harry Potter Band warten musste. Damals auf den fünften, denn als ich angefangen habe waren eins bis vier bereits erschienen. Aus dieser Zeit habe ich sogar noch einen Brief den ich mit 9 Jahren (auf Deutsch) an J. K. Rowling geschrieben aber nie abgeschickt habe. Wie sehr mir ihre Bücher gefallen und wie sehnsüchtig ich auf den nächsten Band warte. Auf die Idee zu drängeln wäre ich aber trotzdem nicht gekommen.
Auch heute ärgere ich mich wenn ich auf Fortsetzungen warten muss, wir alle tun das (das habe ich in den anderen Kommentaren auch schon öfter gelesen). Aber dafür komme ich manchmal in den Genuss das auf einmal ein Paket ankommt und ich mich frage was da wohl drin sein könnte. Weil ich vergessen habe das ich mir vor vielen Monaten ein Buch vorbestellt hatte. Die Freude wenn ein heiß ersehntes Buch endlich ankommt ist so groß das sie all das Warten wett macht. Leider landen solch heiß ersehnte Fortsetzungen erstmal für ein paar Monate auf dem SUB weil ich tatsächlich teilweise die vorherigen Bände nochmal lesen möchte.
Julia