Worum geht’s?
Im Jahre 1913: Die 14-jährige Träumerin (Wilher)Mina Ranzau wächst, von ihren Eltern wohlbehütet, auf einem riesigen Gut in Schleswig-Holstein auf. Wann immer sie den Fängen der Mamsell entfliehen kann, schleicht sie sich auf den Dachboden und tanzt zur wundervollen Musik einer geheimnisvollen Spieluhr, die ein Medaillon mit der Fotografie zweier Jungen in sich birgt. Mit ihnen kann Mina über alles reden. Als eines Tages der Doktor der Familie zu Besuch kommt und Mina im Speicher vorfindet, sucht er das Gespräch mit ihren Eltern auf: Er hält sie für geistig verwirrt und schlägt vor, die “damalige Prozedur” zu wiederholen. Erschrocken nimmt das junge Gutsmädchen Reißaus und verfolgt einen Drehorgelspieler, der vor ihrem Haus die Musik der Spieluhr spielte. Dabei erhält sie Hilfe von ihrem plötzlich sprechenden Kater Tausendschön. Dieser führt sie zu den Tatern, einer Gruppe von Zigeunern. Mit ihnen zusammen macht sich Mina auf die Reise, um Antworten zu finden: Von welcher Prozedur sprach der Doktor? Warum fühlt sich Mina zu den Jungen im Medaillon verbunden? Nur eines weiß sie sicher: Sie ist bereit, alles hinter sich zu lassen.
Meine Meinung:
Erst als ich das Buch in den Händen hielt, habe ich mich genauer mit der Autorin beschäftigt und war sehr überrascht: Es ist eine deutsche Autorin! Darüber habe ich mich sehr gefreut, denn neben den ganzen Übersetzungen ist so etwas ist mittlerweile schon fast zu einer Seltenheit geworden. “Der siebte Schwan” beweist, dass auch aus einer deutschen Feder ein Meisterwerk entstehen kann.
Ich muss zugeben: Zu Beginn hatte ich leichte Startschwierigkeiten. Mers Schreibstil ist sehr ungewöhnlich, aber das muss ja nicht immer gleich negativ sein. Nach wenigen Seiten legte sich diese anfängliche Hürde und ich konnte mich von dem träumerischen Stil in eine fremde Welt entführen lassen. Die Autorin beschreibt die Umgebungen und Situationen sehr ausführlich, sehr detailliert, jedoch ohne überladen zu wirken. Die wunderbaren Erzählung haben mich derart verzaubert, dass ich mich sogar manchmal dabei ertappt habe, den Faden zur Geschichte verloren zu haben. Allerdings würde ich das nicht als Kritikpunkt auffassen, denn Mer schafft es dadurch, den Leser völlig in die Welt versinken zu lassen. Auch die Gefühle der Protagonistin Mina werden auf zauberhafte Art und Weise übermittelt, ohne mehrere Seiten zu besetzen und einen nervigen Eindruck zu hinterlassen. Mir persönlich fiel es sehr leicht mit Mina mitzufühlen. Außerdem gibt es im gesamten Buch unzählige Andeutungen, die sich erst gen Ende aufklären – gerade das erhält die Spannung aufrecht und regt zum Weiterlesen an.
Die Persönlichkeiten der verschiedenen Charaktere werden ebenso beeindruckend dargestellt. Protagonistin Mina wirkt trotz ihrer jungen Jahre niemals als kleines nervtötendes Mädchen. Von ihrem Werdegang war ich sehr beeindruckt; für ihre 14 Jahre ist sie sehr erwachsen und mutig. Während Minas kurzer Zeit zuhaus wirken die anderen Charaktere sehr distanziert und unpersönlich. Selbst zu ihren Eltern baut sich kein familiäres Verhältnis auf und der Doktor lässt in mir die Alarmglocken läuten, obwohl Mina ihn mehr als einmal als den “guten Doktor” betitelt. Die Tater stellen dagegen einen völligen Kontrast dar: Bei ihnen fühlt sich Mina sofort geborgen und beschützt. Während Lilja die Rolle der liebevollen Mutter einnimmt, agieren Zinni und Pipa als kleine Geschwister. Das Verhältnis zu Rosa und Viorel bleibt anfangs noch angespannt (aus gutem Grund!); im Laufe der Geschichte klärt sich dies aber auf. Insgesamt handelt es sich bei allen Figuren um wohldurchdachte Charaktere, die mit ihren Handlungen und Worten die Geschichte zu etwas Besonderem machen und die Spannung aufrecht erhalten. Außerordentlich gefreut hat mich, dass es keinen “Alleskönner” gibt, der sofort auf jedes Rätsel eine Antwort weiß. Die nerven, sind mir unsympathisch und machen die Vorfreude auf die nächsten Seiten kaputt!
Der Geschichtsverlauf wurde von Mer sehr schön erzählt. Die vielen verschiedenen Märchen, Sagen und Mythen geben dem “siebten Schwan” das gewissen Etwas. Ich selbst liebe Märchen über alles, deshalb gefällt mir dieser Aspekt mit Abstand am meisten. Sie sind in die träumerische Handlung perfekt integriert. Es gibt viele verschiedene Aktionen, die einem im ersten Moment unwichtig erscheinen, am Ende trotzdem eine entscheidende Rolle spielen. Alle Handlungsstränge erscheinen anfangs noch als kleine Einzelgänger, doch am Ende verschmelzen sie alle zu einem Gesamten. Im Nachhinein kann ich mich nicht an eine einzige Szene erinnern, die nicht mit dem Rest der Geschichte verwoben ist. Selbst das Ende ist gut gelöst. Keine “Friede-Freude-Eierkuchen”-Lösung, auch kein “Happy End”. Ich fand es sehr traurig, da es sehr viele Abschiede gibt und ich die Charaktere sehr lieb gewonnen habe. Trotzdem ist es insgesamt ein schönes Ende; es regt die eigene Fantasie an, dank ein paar weniger unbeantworteter, offener Fragen. Eine Fortsetzung wird es aber (hoffentlich) nicht mehr geben. Für mich ist die Geschichte mit der letzten Seite abgeschlossen, ein zweiter Teil würde den Abschluss ruinieren.
Fazit:
Ein wunderbares Buch, das ich jedem nur weiterempfehlen kann! Ich würde auch mehr als 5 Lurche vergeben, denn außer den anfänglichen Startschwierigkeiten, die sich sehr schnell legen, kann ich einfach keinen Mangel finden.
Buchdetails
Der siebte Schwan von Lilach MerSeiten: 560
Format: Paperback
Preis: nur noch gebraucht erhältlich bzw. 10,99 Euro als eBook
Verlag: Heyne (© Cover)ISBN: 9783453527492